SPD debattiert über Erneuerung
Designierte Chefin Nahles: Partei muss auch das Thema Innere Sicherheit besetzen
HNA Northeimer Neueste Nachrichten, Deutschland 16.04.2018 14 Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa
BAD FALLINGBOSTEL/BERLIN. Die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles hat ihre Partei aufgefordert, sich stärker um das Thema innere Sicherheit zu kümmern. „Ich rate dazu, nicht über jedes Stöckchen zu springen, selbstbewusst zu sein, das Thema innere Sicherheit selbst zu besetzen – und so wie wir als Sozialdemokraten es immer tun: auch gegenüber Migranten ohne Ressentiments“, sagte die Bundestagsfraktionschefin am Samstag beim SPD-Landesparteitag im niedersächsischen Bad Fallingbostel. In der dortigen Koalition von SPD und CDU gibt es mit Boris Pistorius einen der profiliertesten SPD-Landesinnenminister.
Mit Blick auf von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angestoßene Debatten riet Nahles, cool zu bleiben und zwei Fragen in Richtung Union zu stellen: „Was habt ihr bisher getan, um das Problem zu lösen, und wie weit, Herr Seehofer, sind Sie denn mit der Umsetzung des Koalitionsvertrags?“
Nahles hat einen großen Erneuerungsprozess der bei der Bundestagswahl auf 20,5 Prozent abgestürzten SPD angekündigt. Am 22. April will sie sich bei einem Sonderparteitag in Wiesbaden zur Nachfolgerin des zurückgetretenen Parteichefs Martin Schulz wählen lassen. Sie hat mit der Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange allerdings eine umtriebige Gegenkandidatin.
SPD-Vizevorsitzende Malu Dreyer sagte, sie sei „sehr zuversichtlich, dass Andrea Nahles ein sehr gutes Ergebnis haben wird“. Nahles habe einen klaren Kompass. „Das ist genau das, was die Partei braucht“, so die rheinlandpfälzische Ministerpräsidentin.
Niedersachsen SPD-Landeschef Stephan Weil wünschte Nahles aber „dass es keine 100 Prozent werden“, das habe sich nicht bewährt. Weil wurde in Bad Fallingbostel mit 94,1 Prozent der Stimmen als niedersächsischer Parteichef bestätigt. (dpa) Stephan Weil Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch auf Twitter zum Angriff in Syrien.
Neuer SPD-Chef in NRW
Sebastian Hartmann will Partei aus dem Tief führen
HNA Northeimer Neueste Nachrichten, Deutschland 16.04.2018 14
An der Spitze: Sebastian Hartmann (40).
Rund ein Jahr nach der Niederlage bei der Landtagswahl stellt sich die nordrhein-westfälische SPD personell neu auf. Als Nachfolger der langjährigen Vorsitzenden Hannelore Kraft und des Übergangsparteichefs Michael Groschek hat die Partei in Düsseldorf den noch wenig bekannten Sebastian Hartmann vorgestellt. Der 40-jährige Bundestagsabgeordnete soll künftig den mit 111 000 Mitgliedern größten SPD-Landesverband führen. Auf dem vorgezogenen Landesparteitag am 23. Juni soll der Politiker zum neuen Vorsitzenden der NRW-SPD gewählt werden. Mit ihm an der Spitze der Partei: Die Dortmunder Unterbezirksvorsitzende Nadja Lüders, die Generalsekretärin werden soll. Gegenkandidaten gibt es nicht.
Aufgewachsen ist Sebastian Hartmann in Bornheim bei Bonn. Seit seiner Jugend ist er SPD-Mitglied. Nach seinem Zivildienst studierte der 40-Jährige Rechtswissenschaft an der Universität in Köln, legte jedoch kein Staatsexamen ab. Stattdessen arbeitete er nach eigenen Angaben schon während des Studiums als Organisationsberater und Trainer.
Hartmanns politischer Aufstieg kam in Fahrt, als er 2011 Assistent des damaligen EUParlamentspräsidenten Martin Schulz wurde. Bei der Bundestagswahl 2013 zog er über die Landesliste in den Bundestag ein. Auch 2017 wurde er nicht direkt gewählt, sondern zog wieder über die Liste der SPD in den Bundestag ein.
In seiner künftigen Position sieht der SPD-Politiker große Herausforderungen auf seine Partei zukommen – darunter die Digitalisierung der Arbeitswelt, durch die Hunderttausende Arbeitsplätze auf dem Spiel stünden. Hartmann gibt sich kämpferisch. Er will die Partei aus ihrem Tief herausführen. Die SPD werde eine „starke Stimme“sein und auf Bundesebene und im Land gebraucht, sagte der Bundestagsabgeordnete bei seiner Vorstellung in Düsseldorf. Ob sich Hartmann auch als Herausforderer von NRWMinisterpräsident Armin Laschet (CDU) bei der Landtagswahl 2022 sieht, ließ er offen.
Privat ist nur wenig über den 40-Jährigen bekannt. Er lebt seit seiner Kindheit im Rhein-Sieg-Kreis und ist verheiratet, verrät er auf seiner Homepage. (dpa/juh)
„Jusos müssen lauter werden“
Im Wahlkampf war Kevin Kühnert Star der Jungsozialisten – jetzt war er zu Gast im nordhessischen Korbach
HNA Northeimer Neueste Nachrichten, Deutschland 16.04.2018 14 Foto: Schilling
KORBACH. „Die Jusos müssen noch lauter werden und den Streit auf die Parteitage tragen“, ruft Kevin Kühnert – und im Saal des Korbacher Bürgerhauses brandet erneut Applaus auf: Der Bundesvorsitzende der Jungsozialisten ruft gestern bei der Bezirkskonferenz des nordhessischen SPDNachwuchses dazu auf, die Partei umfassend zu erneuern.
Von der Verzagtheit im Berliner Willy-Brandt-Haus lässt sich Kühnert nicht anstecken, das liegt nicht in seinem Naturell. Und mit seiner Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit hat er gestern bei seinen Parteifreunden ein Heimspiel, sie feiern ihn.
Auf dem Weg von Bremen nach Hamburg habe Kühnert einen Ausflug nach Korbach gemacht, sagt Konferenzleiter Oliver Schmolinski ironisch. In der Hessentagsstadt 2018 ist der Berliner zum ersten Mal. „Es ist schön hier.“
Die scheidende Bezirksvorsitzende Lara Kannappel hält gerade ihren Rechenschaftsbericht, als Kühnert eintrifft und sich ohne viel Aufhebens hinten in den Saal stellt. Sie unterbricht sofort: „Ich hab’ Kevin gesehen und bin völlig aus dem Häuschen.“
Mit seiner aufsehenerregenden Kampagne gegen eine neue Große Koalition im Bund ist der 27-Jährige populär geworden. Einige Jusos nutzen gleich die Gelegenheit, um ein Handyfoto mit ihm zu machen. Kühnert spielt gelassen mit, der Medienruhm scheint ihm nicht zu Kopf gestiegen zu sein. Locker plaudert er mit seinen Genossen. Doch in seiner rhetorisch geschliffenen, frei gehaltenen Rede wird er sofort deutlich.
Als Ursache für die Wahlmiseren der vorigen Jahre macht er die Agenda-Reformen von Kanzler Gerhard Schröder aus, gerade die Hartz-Gesetze. Mit ihnen habe die SPD vielen „ihr Leben jeden Tag schwieriger gemacht“– statt leichter, wie einst das Ziel gelautet habe. Die derzeit sechs Millionen Betroffenen litten unter „vielen kleinen Gemeinheiten“und der Bürokratie.
Die SPD habe ihr Versprechen nicht mehr eingehalten, für einen „vorsorgenden Sozialstaat“zu sorgen. Sie müsse dieses Versprechen wieder einlösen und wieder allen die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe geben. Dazu sei eines erforderlich: „Wir werden der Partei eine Debatte über eine gerechtere Vermögensverteilung aufzwingen.“Immer wieder gibt es kräftigen Applaus.
Nach der Kampagne gegen eine Große Koalition seien die Jusos ein „stärkerer politischer Faktor in der Mutterpartei“geworden, stellt Kühnert fest, „und wir werden fordernd bleiben.“Sein Appell: „Lasst uns vor Ort vormachen, wie wir uns Erneuerung vorstellen.“Aber sie werde Monate dauern: „Wir müssen es seriös machen und uns Zeit nehmen, um nachzudenken und zu diskutieren.“Doch eins sei klar: Die Jusos müssten bei der Überwindung der Agenda eine zentrale Rolle spielen: „Wir können unverbraucht und unbelastet drangehen.“Der neue Fürs Album: Der neue Juso-Bezirksvorsitzende René Petzold (links) und Vorgängerin Lara Kannappel mit Kevin Kühnert. Juso-Bezirksvorsitzende René Petzold ruft in den Saal: „Wir müssen fehlende Glaubwürdigkeit zurückgewinnen – Kevin, bleib stark.“
Erarbeitetes Vermögen im Blick
Neuer SPD-Vorstoß in Hartz-IV-Debatte
Bislang wird Hartz-IV-Beziehern nur ein begrenztes Vermögen zugestanden. Für SPD-Vize Schäfer-Gümbel ein Unding. Er will, dass das erarbeitete Vermögen der Betroffenen unangetastet bleibt.
Hartz-IV-Empfänger sollen ihr erarbeitetes Vermögen nach dem Willen von SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel nicht länger antasten müssen, um die Grundsicherung in Anspruch nehmen zu können. „Umbrüche im Erwerbsleben von Menschen dürfen nicht mehr zu Unsicherheit und gar Abstiegsangst führen“, sagte Schäfer-Gümbel dem „Tagesspiegel“.
„Die Betroffenen müssen das Erarbeitete behalten dürfen – sei es ein Haus, eine Wohnung oder sonstiges Eigentum“, so Schäfer-Gümbel weiter. Die Absicherung der Lebensleistung der Menschen sei ein wichtiger Baustein für einen modernen Sozialstaat.
Bislang wird Hartz-IV-Beziehern nach geltendem Recht nur ein begrenztes Vermögen zugestanden. Seit ein paar Wochen wird aber parteiübergreifend über das Hartz-System gestritten. Vor allem in der SPD mehren sich die Stimmen für eine Abschaffung
Demokratie und Offenheit in der SPD“
Simone Lange, Kandidatin für die Parteispitze, erläuterte in Friedland ihre Motive und Vorstellungen
HNA Northeimer Neueste Nachrichten, Deutschland 06.04.2018 10 Foto: Schröter
FRIEDLAND.
Als Simone Lange vor zwei Monaten ankündigte, am 22. April beim SPDBundesparteitag gegen Andrea Nahles für den Parteivorsitz zu kandidieren, hielten das viele eher für einen Witz. Dass es die 41-jährige Flensburgerin mit dieser Kandidatur jedoch sehr ernst meint, zeigte sich jetzt während ihres Besuchs beim SPD-Ortsverein in Friedland (Kreis Göttingen).
„Ich freue mich darauf, in knapp drei Wochen beim Bundesparteitag sprechen zu dürfen, denn ich habe viel zu sagen“, betont Lange, die in dieser Woche mit einem vierköpfigen Team durch Deutschland tourt. Zur Politik gekommen sei die ehemalige KripoBeamtin und jetzige Flensburger Oberbürgermeisterin, weil sie in der DDR geboren und als 13-Jährige die Wendezeit „sehr bewusst“erlebt habe. In dieser Zeit sei ihr Engagement für Demokratie entstanden. Vor 15 Jahren sei sie in die SPD eingetreten. „Nicht, weil ich Schröder gut fand“, erinnert sie sich zurück. „Das Gegenteil war eher der Fall.“Vielmehr habe sie damals gemerkt, dass etwas schief laufe. „Und wenn das der Fall ist, darf man nicht weglaufen, sondern man muss hinlaufen.“
Ganz ähnlich habe es sich jetzt mit ihrer Kandidatur für den Parteivorsitz verhalten. „Als im Januar angekündigt wurde, dass Andrea Nahles kommissarisch den Vorsitz übernehmen würde, was mit der Satzung der SPD gar nicht Will SPD-Vorsitzende werden: Simone Lange bei ihrem Auftritt in Friedland. vereinbar ist, habe ich kurz entschlossen meinen Hut in den Ring geworden“, sagt die zweifache Mutter. „Ich möchte der Partei eine Wahl ermöglichen.“Das wäre aus ihrer Sicht ein erster Schritt, den Mitgliedern wieder das Gefühl zu geben, dass sie es sind, die die Stimmung und die Richtung der Partei bestimmen.
Auch parteipolitisch tritt Simone Lange für eine größere Beteiligung der Basis an der Entscheidungsfindung ein. „Die SPD ist eine Mitgliederpartei, daher muss ich als Parteispitze meine Mitglieder auch andauernd beteiligen und in meine Prozesse einbeziehen.“Eine solche Erneuerung sehe sie unter einer Parteivorsitzenden Andrea Nahles nicht gegeben. „Der Bundesvorstand hat eine wichtige Aufgabe: Er muss die Ortsvereine und die Landesverbände moderieren und darf nicht nur das Kraftzentrum der Partei sein“, fordert sie. „Ich will Demokratie, Transparenz und Offenheit in der SPD.“
Wolle man sich „neu aufstellen und als Partei unverkennbar“machen – und genau das müsse das vordringliche Ziel sein – dann müsse man jetzt damit anfangen. „Ich habe mit meiner Kandidatur schon jetzt einen wunderbaren Prozess ausgelöst, weil ganz Deutschland darüber diskutiert, wer auf dem höchsten Sitz der SPD Platz nehmen soll“, sagt die Flensburgerin.
Sie kündigte an, bis zum Bundesparteitag am 22. April weiter Vollgas zu geben. „Und wenn ich Bundesvorsitzende bin, komme ich auch wieder zu Euch nach Friedland“, versprach sie den begeisterten Mitgliedern des dortigen Ortsvereins.
„Weg mit Hartz IV – her mit dem solidarischen Grundeinkommen“.
Dieser Gedanke findet in der SPD immer mehr Anhänger. Nach Einschätzung von Kritikern führt jedoch allein schon der Begriff in die Irre.
Bereits im Herbst 2017 bei seinem Amtsantritt als Bundesratspräsident hatte sich Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) für ein „solidarisches Grundeinkommen“stark gemacht. Doch das Echo blieb selbst in den eigenen Reihen verhalten.
Erst mit den provozierenden Armuts-Äußerungen des CDU-Politikers Jens Spahn vor wenigen Wochen avancierte Müllers Idee bei den Sozialdemokraten zum Polit-Schlager. Parteivize Malu Dreyer findet die angebliche Alternative zu Hartz IV inzwischen genauso verlockend wie ihr
Amtskollege Ralf Stegner.
In den letzten Tagen suchte Müller deshalb sein eher vages Konzept zu konkretisieren. Es sei sinnlos, weiter auf HartzIV-Reformen zu setzen, schrieb er in einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“. Vielmehr brauche man „jetzt ein neues Recht auf Arbeit“.
Und so soll das Ganze funktionieren: Arbeitslose, die Hartz IV
beziehen oder in die Grundsicherung abzurutschen drohen, – also Langzeitarbeitslose – sollen ein Angebot für eine unbefristete, sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle erhalten, deren Vergütung sich am Mindestlohn orientiert. Für einen Single wären das etwa 1200 Euro im Monat. Das sind rund 200 Euro mehr als im Falle von Hartz IV (inklusive Miete und Heizung).
In kommunaler Regie
Zugleich soll es sich um eine „gesellschaftliche Tätigkeit“in kommunaler Regie handeln. Denkbar sind hier zum Beispiel Jobs als Babysitter, Hausmeister oder Betreuer von Menschen mit Behinderung. Nach Müllers Angaben fallen bei 100 000 solcher Stellen jährliche Mehrkosten in Höhe von 500 Millionen Euro gemessen an den bloßen Hartz-IV-Aufwendungen an. Sie könnten im Rahmen des von der Großen Koalition ohnehin geplanten sozialen Arbeitsmarktprogramms in Höhe von insgesamt vier Milliarden Euro finanziert werden.
Annahme ist freiwillig
Und wer das Angebot nicht annimmt? Der bekommt laut Müller „auch weiterhin die Sozialleistungen, die wir kennen“. Denn es gehe „um Freiwilligkeit, keineswegs um Arbeitszwang“, erläuterte MülSolidarisch mit Arbeitslosen: Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD). ler. Am Ende sei der Staat solidarisch, weil er diese Menschen unterstütze und ihnen Arbeit gebe. Und umgekehrt würden diese Menschen zum Nutzen der Gemeinschaft arbeiten, so der SPD-Mann.
Allein schon die von ihm genannte Zahl solcher Jobs macht allerdings deutlich, dass das „solidarische Grundeinkommen“auch nicht annähernd Hartz IV ablösen könnte. Gegenwärtig sind fast 4,3 Millionen erwerbsfähige Personen auf Grundsicherung angewiesen, darunter 0,86 Millionen Langzeitarbeitslose. Auch hat dieses Konzept nichts mit dem schon seit langem diskutierten „bedingungslosen Grundeinkommen“zu tun, das allen Bürgern zustünde, egal, ob sie arbeiten oder nicht.
„Etikettenschwindel“
Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge bezeichnete Müllers Idee deshalb auch als „Etikettenschwindel“. Tatsächlich gehe es um „Ein-Euro-Jobs de luxe“. Solidarisch wäre es, diese Form der Arbeit tariflich zu entlohnen, meinte Butterwegge. Ähnlich sieht das auch der Arbeitsmarktexperte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Wenn es sinnvolle Arbeit ist, die gebraucht wird, dann soll man sie marktgerecht bezahlen. Wenn es keine sinnvolle Arbeit ist, dann kann man es auch sein lassen“, sagte Brenke.
Und die Union? „Wenn man Grundsicherung bekommt und kein Druck mehr besteht, eine Arbeit anzunehmen, dann werden sich Menschen in diesem System einrichten. Und dann sind wir wieder bei der alten Arbeitslosenhilfe“, so der Chef der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales, Peter Weiß (CDU).
SPD-Mann für Europa
Udo Bullmann ist neuer Vorsitzender der Sozialdemokraten im S
traßburger Parlament
HNA Northeimer Neueste Nachrichten, Deutschland 22.03.2018 11 Archivfoto: dpa
Der Mann hat echt Mut in Zeiten, in denen die Welt der Genossen in Scherben liegt: Udo Bullmann wurde am Dienstagabend zum Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament gewählt – als Nachfolger des Italieners Gianni Pittella, der Anfang des Monats in den Senat in Rom gewählt worden war. Bullmann erhielt 86 Stimmen, 61 Parlamentarier votierten für seine belgische Gegenkandidatin Kathleen Van Brempt.
Es sieht nicht gut aus für die Sozialdemokratie: In den Niederlanden wurde sie pulverisiert, in Frankreich brutal dezimiert, in Italien abgewählt. In Deutschland hat sich die SPD mit dem bislang schlechtesten Ergebnis gerade noch in eine neue Koalition gerettet. Der 61-jährige Hesse Bullmann setzt dagegen sein Konzept, das er selbst als „nachhaltige Politik“beschreibt: „In einer globalisierten Welt können wir gesellschaftliche, ökologische und wirtschaftliche Probleme nicht mehr isoliert voneinander betrachten.“
Themen verknüpfen
Man müsse sie verknüpfen, schrieb er in der Parteizeitung „Vorwärts“. Notwendig seien gemeinsame Antworten der europäischen Sozialdemokraten für die Herausforderungen einer „immer ungerechteren Wirtschaft, der globalen Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und ein Auseinanderdriften unserer Gesellschaft“. Dafür sitzt Bullmann nun an einer Schlüsselstelle.
Der SPD-Politiker stammt aus Gießen, studierte Politikwissenschaft, Soziologie, öffentliches Recht und ÖkonoAufgestiegen: Der Gießener SPD-Politiker Udo Bullmann (SPD) ist neuer Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament. mie und promovierte 1988. Seine wissenschaftliche Laufbahn setzte er an der Strathclyde-Hochschule in Glasgow fort, wirkte später als Hochschuldozent und Jean-MonnetProfessor für Europastudien an der Uni in Gießen.
Der SPD gehört er seit 1975 an, war in Hessen unter anderem Juso-Landesvorsitzender. 1999 wurde Bullmann ins Europäische Parlament gewählt, 2012 übernahm er den Vorsitz der deutschen SPD-Gruppe von Martin Schulz, als dieser zum Präsidenten gewählt wurde. In Straßburg ist der Gießener Mitglied im Wirtschaftsund Währungsausschuss, saß in einem Sondergremium während der Finanzkrise und koordinierte mehrere Jahre die Wirtschafts- und Finanzpolitik der europäischen Sozialdemokraten.
Glühender Fußballfan
Der Vater von drei Kindern gilt unter seinen Parteifreunden als glühender Fußballfan. „Das ist die entscheidende Spielsituation“, „Alle müssen auf dem Platz stehen“oder „Nur als Mannschaft können wir das Spiel gewinnen“sind Sätze, die sich auch in seinen Reden immer wieder finden. Musikalisch steht er auf Bob Dylan und Van Morrison. Und falls er mal Zeit hat, etwas anderes als EU-Vorlagen oder Partei-Informationen zu lesen, dann greift er derzeit zu dem Roman „Die Hauptstadt“von Robert Menasse, ein spannendes Opus über die Vorgänge in Brüssel, erzählt an fiktiven Figuren aus der Führungsetage der Europäischen Union.
Bullmanns unmittelbarer Gegenspieler ist der CSU-Politiker Manfred Weber, Chef der christdemokratischen Fraktion in Straßburg. Bei den Grünen gehört die Deutsche Ska Keller zum Fraktionsvorstand. Solche nationalen Spielereien hat Bullmann aber nicht im Sinn. Ihn interessiert Europa. Markus
Söder wird der bisherige Staatssekretär Albert Füracker, Innenminister bleibt Joachim Herrmann – er bekommt die Zuständigkeit für den Bereich Integration hinzu.
Der bisherige Kultusminister und Söder-Weggefährte Ludwig Spaenle, Umweltministerin Ulrike Scharf und Europaministerin Beate Merk werden dem Kabinett nicht mehr angehören. Die meisten Ministerien bekommen neue Chefs.
Das gab Söder gestern in einer CSU-Fraktionssitzung in München bekannt. Direkt im Anschluss wurde das neue Kabinett im Landtag vereidigt, die erste Kabinettssitzung ist für Freitag geplant. (dpa)
AUSBILDUNG
- Studium der Politikwissenschaft, der Soziologie, des öffentliches Rechts und der Ökonomie
- Abschluss als Politikwissenschaftler M. A. (1982)
- Promotion zum Dr. rer. soc. (1988)
- Wissenschaftlicher Assistent der Universität Gießen (1989-1996)
- Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1994-1997)
- Visiting Research Fellow am Department of Government der University of Strathclyde/Glasgow (1994-1998)
- Bis zur Wahl in das Europäische Parlament Hochschuldozent und Jean-Monnet-Professor für Europastudien (“Studies on European Integration”) an der Justus-Liebig-Universität Gießen (1998-1999)
Die Mitglieder haben entschieden!
Die SPD-Basis hat den Weg frei gemacht für eine neue Große Koalition. Sie stimmte beim Mitgliederentscheid mit einer Mehrheit von 66,02 Prozent für den mit der CDU/CSU ausgehandelten Koalitionsvertrag. „Wir haben jetzt Klarheit“, sagte der kommissarische SPD-Chef Olaf Scholz im Willy-Brandt-Haus. Er habe Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits über das Abstimmungsergebnis informiert.
Insgesamt wurden 378.437 Stimmen abgegeben. Stimmberechtigt waren 463.722 Mitglieder. Die Beteiligung lag damit bei 78,39 Prozent – höher als beim Mitgliederentscheid vor vier Jahren. 239.604 Mitglieder stimmten mit Ja, 123.329 mit Nein, gab der für die Auszählung zuständige Schatzmeister Dietmar Nietan bekannt.Die SPD-Spitze will bis spätestens 12. März bekanntgeben, wer die sechs SPD-Ministerien besetzen soll.
Nordlicht führt Widerstand an
Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD)will gegen Nahles kandidieren
HNA Northeimer Neueste Nachrichten, Deutschland 14.02.2018 10 Foto: dpa
FLENSBURG. Offen, bürgernah, beliebt – so wird Flensburgs Oberbürgermeisterin in der Stadt beschrieben. Jetzt will die gebürtige Thüringerin Simone Lange auch die Bundespartei aufmischen.
Mit diesem Coup hat sich die 41-Jährige quasi über Nacht bundesweit in die Schlagzeilen katapultiert: Am späten Montagabend kündigte sie in einem offenen Brief an die SPD-Mitglieder ihre Kandidatur für den SPD-Bundesvorsitz an. Damit könnte Lange gegen Fraktionschefin Andrea Nahles antreten, die den Parteivorsitz eigentlich vorzeitig übernehmen sollte.
Dabei hat Lange persönlich nichts gegen Nahles. „Ich halte zuvorderst den Weg für falsch“, sagt die Flensburger Verwaltungschefin. Bei so einer bedeutenden Frage sei es wichtig, die Mitglieder einzubeziehen, findet Lange. Ihre Bewerbung sieht sie als Angebot. „Vielleicht gibt es ja noch mehr Angebote, auch das fände ich gut.“
Das Einbeziehen, der Dialog, die Beteiligung von Menschen ist Lange auch in ihrem Amt als Oberbürgermeisterin Will Nahles beim SPD-Sonderparteitag herausfordern: Die Oberbürgermeisterin von Flensburg, Simone Lange (41). von Schleswig-Holsteins drittgrößter Stadt wichtig. Bei der Oberbürgermeisterwahl im Sommer 2016 wurde die SPDPolitikerin auch von CDU und Grünen unterstützt. Gleich im ersten Wahlgang setzte sich Lange mit 51,4 Prozent gegen den Amtsinhaber und zwei weitere Bewerber durch.
In die SPD trat Lange 2003 ein. Die Frage, wie man die Gesellschaft „beieinander halten“kann, sei damals ein Antrieb gewesen, sagt sie. Die Probleme von damals seien immer noch da: Kinderarmut, die Schere zwischen Arm und Reich. „Wir haben offenbar nicht die richtigen Instrumente gehabt, um dies zu ändern.“Vielleicht brauche es mutigere Ideen und Debatten darüber. „Das ist mein Antrieb, lasst uns Neues probieren.“
Respekt erwarb sich die Sozialdemokratin auch auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015, als sie sich, noch Landtagsabgeordnete, gemeinsam mit anderen Helfern unermüdlich am Transitbahnhof Flensburg um gestrandete Flüchtlinge kümmerte.
Früher bei der Kripo
Lange wurde 1976 in Rudolstadt in Thüringen geboren. Nach dem Abi studierte sie an der Verwaltungsschule in KielAltenholz, arbeitete von 1999 bis 2012 als Kripobeamte bei der Flensburger Polizei, zuletzt im Bereich Wirtschaftskriminalität. Zudem war die zweifache Mutter in der Kommunalpolitik aktiv.
2012 zog sie für die SPD in den Kieler Landtag ein, war stellvertretende Vorsitzende des Innen- und Rechtsausschusses. Auch im Landesparlament war sie eine geschätzte Kollegin.
In der Nord-SPD galt Lange bereits vor ihrem Vorstoß in Richtung Bund als Hoffnungsträgerin. 2019 wird hier der Landeschef neu gewählt. Lange gilt als eine der potenziellen Nachfolgekandidaten von Amtsinhaber Ralf Stegner, auch wenn sie sich dazu jetzt nicht äußern will. (dpa)
Gabriel lehnt Minderheitsregierung ab
Wie Gabriel lehnt auch die CDU unter Angela Merkel eine Minderheitsregierung ab.
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Die SPD hadert noch, wie sie mit der Union zusammenarbeiten will. Ihr ehemaliger Vorsitzender legt sich dagegen fest:
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel ist gegen die Bildung einer Minderheitsregierung.
„Ich bin da eher skeptisch, weil eine wackelige Regierung in Deutschland vermutlich in Europa zum Beben führen könnte“, sagt er der Funke-Gruppe.
Dennoch müsse darüber geredet werden, fügt er aber an.
SPD-Arbeitnehmer gegen große Koalition
Unterbezirks-Chef für Minderheitsregierung
HNA Northeimer Neueste Nachrichten, Deutschland 22.12.2017 2
NORTHEIM. Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) im SPD-Unterbezirk NortheimEinbeck ist gegen eine große Koalition mit der CDU auf Bundesebene (Groko) und hat sich stattdessen für eine Minderheitsregierung ausgesprochen.
„Ich habe den Eindruck, dass so manch einer zur Möglichkeit einer Minderheitsregierung weder unsere Verfassung, noch die üblichen Verfahren der parlamentarischen Demokratie, noch praktische Beispiele von Minderheitsregierungen kennt“, sagte der AfA-Unterbezirksvorsitzende Karl-Friedrich Probst.
Nach Artikel 63, Absatz 4 des Grundgesetzes könne ein Kanzler mit einfacher Mehrheit gewählt werden. Dies kann nach seinen Worten zum Beispiel durch die Kandidatur mehrerer Kandidaten oder durch die Enthaltung zum Beispiel einer großen Fraktion geschehen. Die SPD müsse Angela Merkel ( CDU) gar nicht wählen. Sie könne nur mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion Kanzlerin werden.
Die SPD wäre dann in der Opposition. „Das bedeutet aber natürlich nicht, dass man einfach und platt gegen alles stimmt, was von der Regierung oder den regierungstragenden Fraktionen vorgeschlagen wird“, betonte Probst.
Gesetzentwürfe könnten im parlamentarischen Prozess verändert werden. Das sei ja der Normalfall. Wenn sie dabei zustimmungsfähig werden, würde die SPD sie nicht ablehnen. „Das nennt sich Sachpolitik“, erklärte der AfAVorsitzende.
Wenn Merkel dies zu mühsam sei und sie ihre Komfortzone nicht verlassen wolle, dann sollte sie Platz für jemanden machen, der für eine solche spannende und ehrenvolle Aufgabe geeignet ist, forderte Probst. (ows)
Ab 7. Januar wird sondiert
Union und SPD nehmen Gespräche auf – SPD entscheidet am 21. Januar über Koalitionsverhandlungen
HNA Northeimer Neueste Nachrichten, Deutschland 21.12.2017 11
BERLIN. Diesmal hatte Martin Schulz richtig gute Laune. Und das nicht, weil er auf dem Weg zu Angela Merkel und Horst Seehofer war. Sondern weil sein Treffen mit den Granden der Union exakt auf seinen 62. Geburtstag fiel. Es gab Gratulationen von allen Seiten, und auf dem Tisch stand ein Kuchen.
Nach der zweiten Vorsondierung in Folge steht nun der Fahrplan für die echten Sondierungsgespräche fest. Die Spitzen von CDU, CSU und SPD wollen vom 7. bis 12. Januar über eine Regierungsbildung sprechen. Das Ergebnis der Sondierungen solle anschließend in den Parteigremien und Fraktionen beraten werden, teilten CDU, CSU und SPD gestern nach gut siebenstündigen Beratungen in Berlin mit.
15 Themenrunden
Die Runde aus Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel, SPD-Chef Martin Schulz, dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer, sowie den Fraktionschefs beider Seiten vereinbarte Verhandlungen in 15 Themenbereichen. An erster Stelle werden „Finanzen/Steuern“genannt, es folgen unter anderem Wirtschaft, Energie, Familie sowie Migration/Integration.
Gute Atmosphäre
In der Erklärung war von einem guten Gespräch in „vertrauensvoller Atmosphäre“die Rede. Die Parteien wollten sich zudem zu Jahresbeginn in getrennten Sitzungen auf den Beginn der Sondierungsgespräche vorbereiten, hieß es weiter. Die Verhandlungen zwischen Union und SPD sind nötig geworden, nachdem die Jamaika-Sondierungen von CDU, CSU, FDP und Grünen vor viereinhalb Wochen geplatzt waren.
Neben den Parteivorsitzenden saßen gestern Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU), SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles und der Berliner CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt mit am Tisch. Sie hatten sich in dieser Zusammensetzung bereits vor einer Woche zu einem ersten Gespräch getroffen.
Am 21. Januar soll ein Parteitag der SPD entscheiden, ob die Partei förmliche Koalitionsverhandlungen über den konkreten Vertragstext aufnimmt. Die SPD hielt sich zuletzt drei Varianten offen: eine Fortsetzung der Großen Koalition, eine Teilkoalition mit Zusammenarbeit bei einigen Kernpunkten sowie die Tolerierung einer CDU/CSUMinderheitsregierung. Angela Merkel will nur mit dem Ziel einer echten Koalition sondieren.
Thüringer SPD gegen GroKo
NRW-Landesverband fordert Zusagen
HNA Northeimer Neueste Nachrichten, Deutschland 18.12.2017 13 Foto: dpa
BERLIN/ERFURT. Kurz nach dem Beschluss der Parteispitze zur Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit der Union hat die Thüringer SPD als erster Landesverband gegen eine Große Koalition im Bund gestimmt. Zugleich warnte der größte SPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen die Parteiführung davor, sich zu früh auf ein neues Bündnis mit der Union einzustellen.
Ein Parteitag der Thüringer SPD billigte am Samstagabend einen Antrag der Jusos, mit dem die Neuauflage einer Großen Koalition im Bund abgelehnt wird. Darin heißt es unter anderem, eine erneute Regierung mit der Union würde einen weiteren Glaubwürdigkeitsverlust für die SPD bedeuten. In vielen Fragen gebe es kaum Gemeinsamkeiten.
Die SPD regiert in Thüringen als Juniorpartner in einer rot-rot-grünen Koalition unter Führung der Linkspartei. Der Landesverband Thüringen ist innerhalb der Partei nur ein kleiner. Ein ungleich größeres Gewicht hat der Landesverband Nordrhein-Westfalen. Er stellt 150 Delegierte und damit ein Viertel der Stimmberechtigten bei dem Sonderparteitag, der voraussichtlich am 14. Januar über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union entscheiden soll. Über einen Koalitionsvertrag müssten 440 000 SPD-Mitglieder befinden.
„Enden als Wackeldackel“
Der Landesvorsitzende der NRW-SPD, Michael Groschek, sagte dem Spiegel: „Die Hauptverantwortung der SPD liegt darin, wieder so groß und stark zu werden, dass sie für die Menschen im Land eine echte Kanzler-Alternative zur Union darstellt. Wenn wir uns an die Rolle des Juniorpartners gewöhnen, enden wir als Wackeldackel.“
Groschek forderte vor dem Sonderparteitag inhaltliche Vorab-Zusagen von der Union. „Wir ziehen keine roten Linien, aber ohne konkrete Verbesserungen im Bereich der Arbeitsmarkt-, Renten- und Gesundheitspolitik ist es unvorstellbar, dass ein Parteitag grünes Licht für weitere Gespräche gibt.“(dpa) Michael Groschek
Ordentlicher Bundesparteitag in Berlin vom 07. – 09. Dezember 2017
Beschluss – Nr. 1
Unser Weg. Für ein modernes und gerechtes Deutschland. Leitlinien für das weitere Vorgehen
Nach der Bundestagswahl vom 24. September 2017 hat die SPD erklärt, die Koalition mit CDU und CSU nicht fortsetzen zu wollen. Das war die richtige Reaktion auf das schlechte Wahlergebnis unserer Partei und die Tatsache, dass die Große Koalition zusammen rund 14 Prozentpunkte eingebüßt hat. Nicht nur für die SPD und ihre notwendige Erneuerung muss das Konsequenzen haben, sondern auch für die künftige Bundesregierung, unabhängig davon, wer sie stellt.
Inzwischen sind CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Versuch gescheitert, eine Koalition zu bilden. Der Bundespräsident hat die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien aufgefordert, auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Wahl in Gesprächen zu klären, auf welchem Wege in dieser Situation eine Regierungsbildung zu Stande kommen kann. Die SPD war und ist sich ihrer Verantwortung für unser Land bewusst. Es kann uns nicht gleichgültig sein, ob eine Bundesregierung zustande kommt oder am Ende Neuwahlen stattfinden werden. Deswegen fühlen wir uns verpflichtet, in Gesprächen auszuloten, ob und in welcher Form die SPD eine neue Bundesregierung mittragen kann. Diese Gespräche führen wir konstruktiv und ergebnisoffen.
Politische Grundlage für die Gespräche mit den anderen Parteien sind unsere sozialdemokratischen Grundüberzeugungen und das von unserer Partei beschlossene Wahlprogramm. Eine neue Regierung muss die großen politischen Aufgaben angehen. Für eine Bewältigung der immensen Herausforderungen reicht ein „Weiter-so“ nicht aus.
Eine neue Bundesregierung muss sich in jedem Fall den großen Fragen unserer Zeit stellen. Dazu gehören zweifellos die globalen Gerechtigkeitsfragen und die grundlegende Erneuerung Europas. Als größtes, bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich mächtigstes Land Europas sind wir auf eine gut funktionierende Europäische Union angewiesen. In der Außen- und Sicherheitspolitik, bei den Herausforderungen durch Migration, im Streben um gute wirtschaftliche Perspektiven der EU-Mitgliedstaaten, im Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit, von denen mancherorts gerade junge Leute betroffen sind, ist eine engere und bessere Zusammenarbeit nötig und möglich. Zu den Megatrends gehört auch die Digitalisierung. Die Umbrüche, die durch sie vor allem in der Arbeitswelt entstehen, müssen politisch gestaltet werden, etwa durch verstärkte Investitionen, bessere Qualifizierung und einen modernen Datenschutz. Es braucht eine Bundesregierung, die gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und Missstände nicht ignoriert, sondern angeht. Dies gilt zum Beispiel für die vorhersehbaren Probleme bei der Rente, die immer noch vorhandene Ungleichbehandlung von Frauen und Männern insbesondere im Beruf – hier sind wichtige Vorhaben wie die Solidarrente und das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit von der CDU und CSU verhindert worden, obwohl sie ausdrücklich im letzten Koalitionsvertrag vereinbart waren. Es braucht zudem eine Bundesregierung, die die Mängel in unserem Bildungssystem sowie die unzureichenden Anstrengungen bei der Integration von Zuwanderern anpackt. Der gesellschaftliche Zusammenhalt muss neu gefestigt werden. Dazu gilt es, sich gegen die Zerfaserung der Gesellschaft zu stemmen, eine inklusive Gesellschaft zu realisieren, die die Teilhabe für alle gewährleistet,
Berlin, 07. Dezember 2017
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und unsere Demokratie zu verteidigen. In vielen europäischen Ländern und auch in Deutschland steht unsere weltoffene, tolerante und demokratische Ordnung auf dem Prüfstand. Umso wichtiger ist ein handlungsfähiger, tatkräftiger und bürgernaher Staat.
Diese Ansprüche an eine Modernisierung unseres Landes in einem besseren Europa müssen mit konkreten Projekten und Maßnahmen unterfüttert werden. Die folgenden Punkte sind für uns essentiell:
Für ein demokratisches, solidarisches und soziales Europa: Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und insbesondere mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron wollen wir die Europäische Union als Gemeinschaft demokratischer Staaten mit sozialer Marktwirtschaft so weiterentwickeln, dass sie allen Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit und Stabilität in einer unsicher werdenden Welt gewährleisten kann. Es muss endlich konkrete und substanzielle Fortschritte auf dem Weg zu einem sozialen Europa geben – etwa durch die Einführung eines Systems europäischer Mindestlöhne, aber auch bei der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit und Kinderarmut in Europa. Steueroasen inner- und außerhalb der EU müssen ausgetrocknet werden. Nur mit einer Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung auf europäischer Ebene können Steuervermeidungstricks internationaler Großkonzerne gestoppt werden. Die Bundesregierung muss gemeinsam mit Frankreich die Initiative für einen Investitionshaushalt der Eurozone ergreifen und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu einem parlamentarisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln. Um Europa aus der Wachstumsschwäche herauszuführen und die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, braucht es ein breit angelegtes europäisches Investitionsprogramm. Vor dem Hintergrund des Brexits auf der einen und zusätzlicher Aufgaben wie der Afrikapolitik, der notwendigen Antworten auf Flucht und Migration, der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf der anderen Seite wird die EU künftig neben mehr finanziellen Mitteln aus den nationalen Haushalten auch zusätzliche Eigenmittel brauchen.
Für sichere Arbeitsplätze, gute Löhne und eine innovative Wirtschaft: Arbeitsverhältnisse dürfen nicht länger ohne triftige Gründe befristet werden, denn dies schafft große Unsicherheiten bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Zum besseren Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden wir Werkverträge, Leiharbeit und Plattformarbeit besser regulieren. Sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze müssen wieder zum Normalfall werden. Wir halten am 8- Stunden-Tag fest. Wir wollen die Gültigkeit von Tarifverträgen und die Tarifbindung festigen, die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtern und ausweiten sowie die Mitbestimmung mit Blick auf den digitalen Wandel in der Arbeitswelt stärken. Gerade in Zeiten des digitalen Wandels müssen Ausbildung, Qualifizierung und Arbeitsplatzsicherheit gestärkt werden, etwa durch ein Recht auf Weiterbildung und die Weiterentwicklung zur Arbeitsversicherung. Eine Stärkung der dualen Ausbildung muss durch eine Ausbildungsgarantie und eine Mindestausbildungsvergütung sichergestellt werden (tarifliche Regelungen haben dabei Vorrang). Zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit wollen wir einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt etablieren. Deutschland braucht eine Gründungskultur. Wir müssen dafür Startups in Deutschland unterstützen. Forschung und Wissenschaft bilden die Grundlage für den Wohlstand der Zukunft. Die Förderung von Innovationen muss neu aufgestellt werden.
Für eine tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern: Es muss endlich das Prinzip gelten: Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer. Wir müssen gerade auch die sozialen Berufe, in denen viele Frauen arbeiten, aufwerten und besser bezahlen. Wir wollen mehr Frauen in Führungspositionen. Wer vorübergehend in Teilzeit arbeitet, muss den Rechtsanspruch haben, auf eine Vollzeitstelle zurückzukehren. Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf verbessern. Daher möchten wir eine Familienarbeitszeit mit einem Familiengeld einführen.
Für gerechtere Bildungschancen: Wir wollen gebührenfreie Kitas, einen Rechtsanspruch auf Ganztagsschulplätze, ein inklusives Schulsystem und insgesamt modernere Schulen. Deswegen muss deutlich mehr Geld in Bildung investiert werden. Dem Bund ist es bislang verfassungsrechtlich verboten, die Länder und Gemeinden dabei finanziell zu unterstützen. Das wollen wir ändern. Wir wollen eine vollständige Aufhebung des Kooperationsverbots im Bereich Bildung und Forschung erreichen. Das BAföG wollen wir durch eine bedarfsgerechte Erhöhung der Fördersätze und eine Erweiterung des Kreises der
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Geförderten stärken. Zudem sollen Bildungsstandards angeglichen werden. Wir wollen, dass jede und jeder in Deutschland die gleiche Chance auf eine gute Ausbildung hat. Von der Kita bis zur Uni oder zum Meisterbrief – der Weg dahin soll gebührenfrei sein. Kinder sind eigene Persönlichkeiten – deshalb wollen wir Kinderrechte im Grundgesetz verankern.
Für sichere Renten und stabile Beiträge: Wir wollen das heutige Rentenniveau sichern und durch einen neuen Generationenvertrag die Beiträge stabilisieren. Zukünftig werden Selbstständige, die nicht in einem Versorgungswerk abgesichert sind, in die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen. Zudem muss eine Solidarrente eingeführt werden, denn wer ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und Sozialbeiträge gezahlt hat, darf im Alter nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sein müssen. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters wird es mit uns nicht geben.
Für ein faires Gesundheitssystem und bessere Pflege: Wir wollen alle Menschen in Deutschland auf die gleiche Weise versichern und dazu eine Bürgerversicherung einführen. Die Beiträge zur Krankenversicherung sollen künftig wieder in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet werden, die Bevorzugung der Arbeitgeber fällt weg. Wir setzen uns in der Pflege für mehr Personal, mehr Qualität und eine bessere Bezahlung ein. Prävention muss wichtiger Bestandteil unserer Sozial- und insbesondere unserer Gesundheitspolitik sein.
Für Investitionen und die Stärkung von Kommunen: Wir wollen mehr investieren – in Bildung, schnelles Internet, bessere Straßen und sozialen Wohnraum. Gerade unsere Kommunen brauchen Unterstützung, um handlungsfähig zu sein. Wir brauchen einen Ausgleich regionaler Unterschiede durch eine regionale Strukturförderung in Ost und West, um gleichwertige Lebensverhältnisse zu erreichen.
Für gerechte Steuern, Entlastung von Familien und einen handlungsfähigen S t a a t : Wir müssen dafür sorgen, dass alle am Wohlstand teilhaben. Für uns geht es um Steuergerechtigkeit. Familien mit Kindern, Alleinerziehende und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit kleinen und mittleren Einkommen wollen wir bei Steuern und Abgaben gezielt entlasten. Zudem muss es ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Kinderarmut geben. Um unsere gemeinsamen Aufgaben finanzieren zu können, sollen große Einkommen und hohe Vermögen einen größeren Beitrag leisten. Steuerhinterziehung und Steuervermeidung müssen konsequenter bekämpft werden.
Für bezahlbares Wohnen und Mieten: Dem sozialen Wohnungsbau kommt in Zukunft besondere Bedeutung zu, damit das Wohnen bezahlbar bleibt und in bestimmten Regionen wieder bezahlbar wird. Dazu benötigen wir auch ein soziales Mietrecht, das den Mietern starke Rechte etwa bei Mietererhöhungen und Wohnraummodernisierungen gibt. Der soziale Wohnungsbau wird beibehalten und weiter ausgebaut.
Für eine geordnete Einwanderungs- und eine humanitäre Flüchtlingspolitik: Deutschland braucht ein modernes Einwanderungsrecht, das den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte ermöglicht und legale Einwanderung besser steuert. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen müssen, erhalten unseren uneingeschränkten Schutz. Eine Obergrenze, die diesen Grundsatz in Frage stellt, lehnen wir ab. Die Bekämpfung von Fluchtursachen muss endlich in seiner ganzen erforderlichen Bandbreite angegangen werden. Das Grundrecht auf Asyl muss unangetastet bleiben. Wir müssen die Bemühungen für die Integration von Flüchtlingen erhöhen und die Unterstützung des Bundes für Städte und Gemeinden fortsetzen. Alle, die sich länger in Deutschland aufhalten, müssen in die Lage versetzt werden, unsere Sprache zu lernen und ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Deshalb wollen wir das Angebot an Sprachkursen und Kursen zur Arbeitsmarktintegration deutlich ausweiten. Familiennachzug und das Zusammenleben in der Familie tragen zu einer guten Integration bei. Deshalb wollen wir die temporäre Aussetzung des Familiennachzugs nicht verlängern.
Für ein sicheres Leben in einer offenen Gesellschaft: Die offene Gesellschaft muss sich gegen ihre Feinde schützen. Das setzt einen handlungsfähigen Rechtsstaat voraus. Wir wollen mehr Polizei und eine leistungsfähige Justiz, mehr Prävention und effektive Strafverfolgung. Wir stehen für eine gute Balance von Freiheit und Sicherheit und achten die Bürgerrechte. Wir brauchen eine starke
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Zivilgesellschaft und werden weiterhin Vereine und Verbände in ihrer Arbeit für eine offene Gesellschaft stärken.
Für Klimaschutz und eine erfolgreiche Energiewende: Gerade weil wir die industrielle Basis in unserem Land erhalten wollen, müssen wir Innovation und technologisches Know-how weiterentwickeln und auf eine ambitionierte Klimaschutzpolitik setzen – national und weltweit. Dazu gehört auch die Umsetzung der Energiewende mit dem konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien. Die von Strukturwandel betroffenen Regionen müssen finanziell unterstützt werden, um neue wirtschaftliche Strukturen zu entwickeln und neue industrielle Arbeitsplätze zu schaffen.
Wir werden ausloten, ob und wie eine Regierungsbildung möglich ist. Es gibt für uns keine Vorfestlegung und keinen Automatismus. Für uns ist dabei auch klar: Die Verantwortung der SPD besteht nicht automatisch darin, dass sie sich für den Eintritt in eine große Koalition zur Verfügung halten muss. Maßstab für eine Koalition bleibt für die SPD einzig und allein die Umsetzbarkeit des inhaltlichen Wählerauftrags, den ihre Wähler ihr am Wahltag mitgegeben haben.
Unsere grundsätzliche Position, dass eine große Koalition nur die Ausnahme und nicht die Regel sein darf, hat sich auch mit dem Scheitern der angestrebten Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP nicht verändert. Zu einer lebendigen Demokratie gehört auch eine handlungsfähige Opposition. Die inhaltliche politische Auseinandersetzung muss im Parlament wie in der Gesellschaft, insbesondere aber bei Wahlen zwischen den beiden großen Volksparteien stattfinden können. Wir wollen keine österreichischen Verhältnisse, die den rechten Rand stärken.
Vor diesem Hintergrund sind für uns auch alle Alternativen jenseits von Neuwahlen und Großer Koalition ernstzunehmende und sorgfältig zu prüfende Optionen.
Deshalb wird die SPD ebenso das Modell einer Minderheitsregierung wie auch Formen einer Kooperation auf die Tagesordnung der jetzt zu führenden Gespräche bringen. Wir fordern CDU/CSU auf, sich ihrer Verantwortung für die durch das Scheitern der Jamaika-Sondierungen entstandene Situation zu stellen.
Neuwahlen sind erst dann erforderlich, wenn sich aus diesen Gesprächen keine anderen Lösungen ergeben. Für welche Option wir uns im Lichte der Gespräche mit anderen Parteien einsetzen werden, entscheiden wir anhand der Frage, was für die Zukunft unseres Landes und Europas, für unsere Demokratie und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger der beste Weg ist. Wir werden auf Grundlage bisheriger Erfahrungen auch bewerten, in welcher Konstellation genügend Vertrauen gegeben ist, um politische Vereinbarungen verlässlich umsetzen zu können.
Der Parteivorstand wird das Ergebnis der Gespräche auswerten und eine Empfehlung für das weitere Vorgehen vorlegen. Sollte er sich für die Tolerierung einer Minderheitsregierung, für eine andere Form der Kooperation oder für die Bildung einer Regierungskoalition aussprechen, wird ein außerordentlicher Bundesparteitag über die Aufnahme von Verhandlungen entscheiden. Für den Fall, dass es zu vertraglichen Vereinbarungen mit anderen Parteien kommt, haben die Mitglieder zu einem Gesamtergebnis im Rahmen eines Mitgliedervotums das letzte Wort. In jedem Fall werden wir die Erneuerung der SPD vorantreiben.